Wie der Mensch lebt, so stirbt er, sagt der Volksmund. Es war ein heftiger Tod, mitten im Leben: unmittelbar vor einem ausverkauften Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie eine kurze, schwere Krankheit, keine Zeit mehr für Abschied. Enoch zu Guttenberg wollte Beethovens Neunte dirigieren, die berühmte Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Sein Chor der KlangVerwaltung sang an jenem sommerwarmen Sonntag unter einem Vertreter:
„Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt! Brüder – überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“
Fünf Tage später war „der Baron“, wie ihn die Chor- und Orchestermitglieder liebevoll nannten, tot. Völlig unerwartet, im 72. Lebensjahr.
Er hinterlässt vier Söhne und seine Lebenspartnerin.
Georg Enoch Robert Prosper Philipp Franz Karl Theodor Maria Heinrich Johannes Luitpold Hartmann Gundeloh Freiherr von und zu Guttenberg wurde 1946 geboren. Gegen den Willen seines Vaters, Staatssekretär im Kabinett Kiesinger, studierte er nicht etwa Staatsrecht, sondern Musik. Es sollte Jahre dauern, bis der Vater seinen Frieden machte mit diesem Lebensweg.
Als Student verschlug es den Oberfranken nach Oberbayern. Im Örtchen Neubeuern übernahm er Ende der sechziger Jahre einen Singverein talentierter Laien, den er binnen Jahren zu Weltruhm führte – auf Tourneen durch Asien, Südamerika, die Vereinigten Staaten und Kanada. Guttenberg war Träger des Deutschen Kulturpreises und des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse.
Durch die politische Karriere seines ältesten Sohns Karl-Theodor wurde der Familienname ab 2009 über Musikkreise hinaus bekannt. Er stand nun nicht mehr allein für bemerkenswerte Bach-Interpretationen, sondern auch für Wirtschafts- und Verteidigungspolitik. Vater Enoch nahm den neuen Wirbel äußerlich gelassen hin und staunte doch über die rasend wachsende Popularität seines Erstgeborenen.
Die Plagiatsaffäre und den Rücktritt seines Sohns im Frühjahr 2011 bezeichnete er später als „einen der schlimmsten Momente“ in seinem Leben. Guttenberg sah plötzlich auch sein eigenes Engagement gefährdet, das seit Jahrzehnten dem Umweltschutz galt.
Als Mitbegründer des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) hatte er sich schon Mitte der siebziger Jahre für die Bewahrung der Schöpfung eingesetzt. In den vergangenen Jahren kämpfte er vor allem gegen Windmühlen: Im Streit um den richtigen Weg zu einer landschaftsverträglichen Energiewende und aus Ärger über die massenhaft errichteten Großwindanlagen verließ er 2012 den BUND.
Der Baron hat furios gelebt, immer am Wochenende in Oberfranken, wo er das Haus der Familie führte, regelmäßig ausritt, Kutsche fuhr und jagte. Unter der Woche in München und in Neubeuern, dort nicht als Patron, sondern als Gleicher unter Gleichen im Dienste der Musik.
Wer ihn einmal hat dirigieren sehen, wer gesehen hat, wie er feierte, lachte, kämpfte, zürnte, wie er Fremde und Freunde umarmte und Musikern nach einer gelungenen Solopassage ein „Ich liebe Sie“ über die Häupter der Mitspieler zurief, der weiß, was gemeint ist: Enoch zu Guttenberg lebte mit allen Sinnen.
In seiner Autobiografie, die er zum 65. Geburtstag veröffentlichte, findet sich eine Passage, die Freunden, Wegbegleitern, Anhängern und seiner großen Familie Trost sein könnte: „Eine fast religiöse Erfahrung habe ich mein Leben lang mit Trauer gemacht. Sie verwandelt sich immer in die Liebe zurück, die von ihr ausgelöst wird. Trauer und Liebe bedingen einander.“
Aus: FOCUS 26/2018